Felder 9.6

Felder 9.6 existiert als Collagenfilm und als Fotocollage, erarbeitet in der Zeit zwischen 1989 und 1991. War Hochhaus der erste durchkomponierte Einsatz meiner Collagetechnik, so ist Felder 9.6 die konzentrierte Anwendung, oder, wie ich es damals empfand, die radikalste minimalistische Umsetzung meiner Collagentechnik.
Das Motiv fand ich schließlich im Strudel des ablaufenden Wassers meiner Badewanne (für die Nachwelt: Frankfurt Sachsenhausen, Brückenstr. 72, 3. Stock). Im Unterschied zu Hochhaus stellte ich vor der fotografischen Umsetzung sämtliche Berechnungen an und legte die Längen, Abläufe, Anordnungen und Schichten der unterschiedlichen Kopiervorgänge fest. Auch diesmal war der Ausgangspunkt der Berechnungen das Größenverhältnis zwischen dem 35mm-Format und dem 16mm-Film. Index war die Breite der Lichttonspur mit 3 mm und die Tatsache, dass aufgrund der Proportionen ein Streifen von fünf Fotobildern der Länge einer Sekunde 16mm-Film entsprachen (und wohl immer noch entsprechen).
Im Gegensatz zu Hochhaus wollte ich mit Felder 9.6 eine gestalterische Lösung auf kleinstem Raum verwirklichen, und damit auch zugleich die komplette Kontrolle über den Entstehungsverlauf ausüben. Zu diesem Zweck suchte ich mir zunächst ein geeignetes Motiv; es sollte ohne emotionale bzw. gegenständliche Bedeutung sein und keine Funktion oder Idee repräsentieren. Sehr wohl aber sollte es von sich aus bereits eine prozesshafte Dynamik haben, die ich dann mit meiner Gestaltung aufgreifen und sozusagen ‚transformieren‘ wollte.
Ich fertigte einen Leuchtkasten aus Holz an, dessen Oberfläche aus Glas bestand; darunter montierte ich eine Rotlichtlampe und auf das Glas eine Schablone aus Millimeterpapier mit den genauen grafischen Anweisungen für die Positionen des Filmstreifens auf dem Fotostreifen. Ich hatte errechnet, dass ich den 16mm-Film 12 mal auf der Breite des 35mm-Formats verschieben konnte, jeweils um die 3mm der Lichttonspur verrückt.
Das ergab also für eine Sekunde Film als kleinster Einheit zunächst vier Grundvarianten: Eine 12er Reihe von oben nach unten, dann, das Material nun umgedreht, dieselbe Bewegung wieder zurück, die beiden Bewegungen jeweils spiegelverkehrt. Ich tastete also mit dem Lichtton das Sekundenmaterial 48 mal ab. Diese vier Streifen wurden das Grundmaterial für ein Motiv. Ich legte schließlich die Fotoaufnahmen dergestalt fest, dass ich insgesamt 12 verschiedene Variationen des strudelnden Wassers aufnahm und in dieser Weise in meiner Dunkelkammer bearbeiten konnte. Ich kopierte die Bilder wieder auf 16mm-Film Positiv, so dass ich mit dem Rotlicht meines Lichtkastens zur Kontrolle arbeitete. Das Material wurde schließlich entwickelt und mithilfe mehrerer Umkopierverfahren in noch einmal 12 grafische Variationen zerlegt bzw. multipliziert – alles von mir selbst per Hand natürlich.
Wie schon beim Hochhaus-Film montierte ich das Endergebnis, kopierte es und synchronisierte die Tonspur dabei manuell nach, stellte schließlich sechs Originale her. Gleichzeitig setzte ich das Strudelmotiv in eine riesige Fotocollage um, die zu meiner Überraschung sehr deutlich die abstrahierte Dynamik der Strudelbewegung wiedergab. Ebenso wie der Film, der in der Projektion im Kino geradezu dreidimensionale Effekte hervorbrachte, quasi wie die Reise durch ein Gehirn anmutete.
Die Fotocollage wurde dann im Frankfurter Kunstverein ausgestellt, was mir eine schöne Kritik von Ingrid Mössinger einbrachte. Der Film selbst wurde auf zahlreichen Festivals gezeigt und führte an der HfG zu heftigen Auseinandersetzungen mit den jungen Spielfilmern, die mittlerweile die Filmklasse übernommen hatten und die wenig mit experimentellen Arbeiten anfangen wollten.
Für mich vollendete der Film ein Gestaltungskonzept, das ich im Alter von 16 Jahren mit ersten Fotomontagen zu entwerfen begonnen hatte, das mich auf die HfG geführt und mir letztendlich meinen bisherigen Lebensweg bereitet hat. Auch deswegen hängt die Fotocollage von Felder 9.6 in einem meiner Räume und repräsentiert für mich quasi mein Lebenswerk; und wie ich selbst auch hat sie die letzten 25 Jahre nicht ganz ohne Beschädigungen überstanden.
Nach Felder 9.6 wollte ich mich nicht wiederholen und suchte nach einem neuen experimentellen Ansatz, den ich dann mit Externsteine 64 erstmals umsetzte. Heute ärgere ich mich etwas über mich selbst; wäre ich nur an dieser Technik geblieben, hätte ich vielleicht heute eine Professur… Wer weiß. Aber mittlerweile arbeite ich daran, meine analogen Gestaltungsgleichungen mit Hilfe von Processing weiter zu denken. In jedem Fall ist der Film ein Ereignis, dass man erst einmal aushalten muss, wenn man keine Neigung zu derlei Formen hat. Zumal auf dem Bildschirm die Wirkung eine ganz andere ist.
Ich habe für die Online-Wiedergabe das Bild nachbearbeitet und grafischer gemacht.
Thomas Mank, März 2014