Jörg Simon im Gespräch

Das folgende Gespräch mit Jörg Simon führte Thomas Mank.

Mank: In Deinen Filmarbeiten ist die Verwandtschaft zu Deinen Bildcollagen und seriellen Fotografien unverkennbar; welchen Anteil hat der Film an Deiner Arbeit?

Simon: Insgesamt einen sehr großen, oder besser: bedeutenden. Allerdings habe ich seit zwei Jahren keinen Film mehr machen können. Das hängt mit meiner momentanen finanziellen Situation zusammen. Ich möchte mich eigentlich auch nicht als Filmemacher bezeichnen wollen. Eher als Künstler, oder besser einfach als jemand, der Collagen macht. Das Prinzip der Collage ist für mich ein durchgängiges, egal, ob ich mit Film arbeite, mit Fotografien oder tatsächlich mit Papiercollagen. Meine Arbeit strukturiert sich dabei in zwei Schritten: Das Material, so einfach es vielleicht auf den ersten Blick wirken mag, finde ich in der Regel durch Zufall, wobei ich das wörtlich verstanden wissen möchte; es fällt mir zu. Der zweite Schritt ist das Ordnen und Strukturieren dieser Materialien, sozusagen das Programmieren des Bildes durch diese Bildteile. Ich nehme die Dinge in die Kamera, gleich ob Film- oder Fotokamera, auf, sie ist dabei für mich wie eine Schmetterlingsbox. Dann kommt das Sortieren und das Ordnen des Materials, aus dem ich dann sozusagen die Essenz ziehe. Ich gehe dabei nach inhaltlichen und nach formalen Kriterien vor, beim Fotografieren kommt noch die Farbe hinzu. Aber das kann bisweilen ganz unterschiedlich sein.

Andererseits ist Film natürlich das Medium schlechthin, über das man ein großes Publikum direkt erreichen kann. Es gibt immer heftige Diskussionen, wenn denn mal meine Filme gezeigt werden. Mittlerweile erkläre ich mir diese Heftigkeit sozusagen ‘tiefenpsychologisch’; ich konfrontiere die Zuschauer mit einer völlig fremden Sprache und versuche darüber mit ihnen in eine Auseinandersetzung zu kommen. Die Kompromißlosigkeit, mit der meine Filme dabei auf Ablehnung oder Zustimmung treffen, finde ich daher nicht schlecht. Das ist eine meiner Absichten und ich habe dabei mittlerweile gelernt, damit umzugehen. Ich möchte zwar nicht allzusehr auf die Psychoebene gehen, aber es ist sicher ein Aspekt. Natürlich mache ich Filme auch erst mal für mich selbst. Und das, was die Leute wütend macht, ist wahrscheinlich die große Einfachheit der Fotoserien wie auch der Filme. Und eben auch der Effekt, wenn völlig normale, scheinbar dokumentarische Bilder doch keinen Zusammenhalt im Sinne einer Geschichte ergeben, wie es letztlich viele gewohnt sind, im Film Geschichten erzählt zu bekommen. Aber es gibt natürlich auch etliche Zuschauer, die für das Sehen solcher Filme durchaus geübt sind, die Erfahrung mit experimentellen Arbeiten haben. Ich möchte mal sagen, daß die Filmkritik wohlwollender mit mir umgeht.

Mank: Wie wichtig ist für Dich der Austausch, auch mit anderen Künstlern? Du hast beispielsweise auch schon gemeinsam ausgestellt, so mit Laura Padgett und Eike Laeuen. Wie funktioniert das für Dich?

Simon: Die Zusammenarbeit, gerade mit den beiden, war ab einem gewissen Zeitpunkt sehr maßgeblich für mich. Gerade bei meinen Fotoserien, d. h. Fotos in Beziehung zueinander zu setzten, hat mich insbesondere der Umgang mit Sprache stark beeindruckt und beeinflußt. Fotoserien sind für mich Sprache, fast wie Worte, aber anders als bei Laura Padgett nicht direkt in Form von Unter- und Zwischentiteln, sondern als Bildelemente. Schon vor der Bekanntschaft mit Padgett und Leuen habe ich mit den Filmen versucht, experimentell die Beziehung zwischen Wort und Bild zu erkunden. Von diesen Erfahrungen profitieren letztendlich auch meine Bild- und Fotocollagen. Es gibt das Wort, daß ein Künstler eigentlich immer das selbe Bild macht. Wenn man die verschieden Arten meiner Arbeiten als ein zusammenhängendes Werk sieht, dann ist dabei der Film auch vor allem eine Methode der Collage. Dieses Prinzip zieht sich unbedingt durch alles, was ich tue, hindurch.

Mank: Dabei ist der Film per se ja eine Collage, die Montage nichts anderes als ein Collagenprinzip mit dem Ziel, unzusammenhängende Teile in einem narrativ verständlichen Ganzen zu binden. Du dagegen machst quasi das Gegenteil; Deine Filme bestehen aus unzusammenhängenden Teilen, die, paradox gesagt, ein unzusammenhängendes Ganzes ergeben. Zumindestens oberflächlich gesehen.

Simon: Richtig. Deswegen sind mir die Filme auch nicht als in sich geschlossene, fertige Arbeiten wichtig, sieht man mal vom ersten ab, sondern sie sind Fragmente. Gerade der letzte Film soll sozusagen ‘vorne und hinten’ offen sein, zu beliebiger Länge weiterdenkbar. Ein Konstrukt, was ich nur auf der linearen Ebene, in der Zeit von 2 Minuten und 30 Sekunden habe stabilisieren können.

Mank: Wie lange braucht eine solche Arbeit?

Simon: An diesem besagten Film habe ich ein halbes Jahr gearbeitet. Für den ersten Film, den ich gemacht habe, benötigte ich noch fast ein ganzes Jahr. Das lag vor allem daran, daß ich noch unerfahren war im Umgang mit Film und deswegen habe ich besonders am Schnitt lange gefeilt. Die Aufnahme selbst hat dagegen nur zwei Tage gedauert.

Mank: Du sprichst von Erfahrung im Umgang mit Film. Ich erinnere mich an die erste Zeit unseres gemeinsamen Studiums an der HfG. Du hast Dich damals konsequent geweigert die technischen Aspekte des Filmemachens überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man sich nun aber lange mit Film beschäftigt, die Technik studiert, dann bezieht sich die Erfahrung doch vor allem auch auf den Umgang mit dieser Technik. Wie ist Dein Verhältnis zur Technik heute?

Simon: Immer noch ein Schlechtes! Ich bin da über das Dilettantentum, was ich seit je her gepflegt habe, noch nicht hinaus gekommen, was aber meiner Ansicht nach nicht unbedingt ein Nachteil ist. Aber Erfahrung in dem Sinne, wie Du eben nachgefragt hast heißt für mich, sicher zu sein im Umgang mit den Materialien, die ich verwende, das, was ich durch den scheinbaren Zufall finde, eben zu erfahren, benutzten oder besser: verdichten zu können. Der Dilettantismus beschränkt sich tatsächlich auf die Technik, und damit meine ich den ja bisweilen geradezu fetischhaften Umgang mit Technik. Das ist für mich gerade das Abstoßende, dieser wahnsinnige Wust, der sich da breit macht. Je natürlicher man eine Szene hinbringen will, desto mehr Aufwand muß betrieben werden. Das erscheint mir im gewissen Sinne manieristisch. Das ist mir ein Widerspruch. Ich bin jemand, der Bilder ‘einfängt’, dabei kann ich eine solche Auffassung von Film, öder gar Spielfilm, überhaupt nicht gebrauchen. Da sehe ich mich etwas romantisch übersteigert als der einsame Wanderer, der mit der Kamera in der Plastiktüte durch die Stadt läuft und dabei seine kleinen voyeuristischen Eindrücke einsammelt.

Mank: Inwieweit ist der Dilettantismus eine Kunstform, hinter der sich ganz stark ein autobiographischer Zusammenhang äußert?

Simon: Das trifft nur zum Teil zu. Wenn meine Lebensumstände andere wären, wenn ich mich anders organisieren würde, dann hätte das vielleicht nur einen minderen Einfluß auf meine Art zu arbeiten das ist viel eher eine Frage des persönlichen Blickes, ein Grundbestand der Persönlichkeit, der sich entwickelt hat und sozusagen festliegt. Ich glaube nicht, daß ich mich verändern würde, wenn mein Lebensstil plötzlich ein anderer wäre. Das ist vorbei. Ich lebe nach gewissen Zwanghaftigkeiten, oder besser gesagt, Ritualen, die notwendig sind, damit ich nicht ins völlige Chaos abgleite. Genau das reflektiert auch meine Arbeitsweise: Das ungefilterte Einströmen von Sinneseindrücken und dann die Bastelarbeit am Schneidetisch. Die Collage als Arbeitsprinzip ist hier für mich ein zentrales Element. Sie ist die Möglichkeit, Ordnung zu zerstören und Ordnung zu schaffen.

Mank: In diesem Zusammenhang fällt mir die Überschrift ‘Apokalypse und Collage’ ein. Inwieweit ist Dir das ein persönlicher Zusammenhang?

Simon: Durchaus, obwohl ich es nicht so hätte formulieren wollen. Aber eigentlich meint Kunst letztlich immer das Allereinfachste, die Welt so zu zeigen, wie man sie selbst erlebt. Ob das jetzt ‘Apokalypse’ oder etwas anderes ist, bleibt zweitrangig. Es ist der kontrollierte Wahnsinn. Als Mensch lebe ich ständig zwischen den Extremen; ein Spießer einerseits, auf der Couch vor dem Fernseher, ein Anarcho andererseits, der die dunkelsten Löcher in dieser Stadt ergründet. Aber das ist natürlich auch das Spannungsverhältnis, aus dem heraus meine Arbeit entsteht.

Mank: Für die nächste Frage möchte ich etwas weiter ausholen: Du hast viel stärker als die meisten derjenigen, deren Leben sich von der Schule hin zum Studium und zur Kunst gleichmäßig entwickelt hat, einen absoluten Bruch in Deiner Biographie vollzogen. Nach sieben Jahren als Angestellter im Arbeitsamt Offenbach hattest Du beschlossen, an der HfG Kunst zu studieren. Du hast die Aufnahme seinerzeit ohne Abitur über Deine besondere Begabung geschafft, materiell gesicherte Verhältnisse bewußt aufgegeben, und lebst jetzt als freischaffender Künstler. Darüber hinaus arbeitest Du auch noch mit einem im Kunstbetrieb so unkommerziellen Medium wie dem Film; warum?

Simon: Ich war damals sehr unglücklich. Wenn ich nicht so gehandelt hätte, wäre es auf Kurz oder Lang zu einer Katastrophe gekommen. Die Zeit an der HfG war sehr wichtig für mich. Die Begegnung mit einigen Lehrern: Petra Falk, Leiterin der Malklasse, der Zeichner Richard Wenzel, der mich ermuntert hat, eigene Wege zugehen, und dann Helmut Herbst, der meine Arbeitsweise von Anfang an respektiert hat, obwohl er von einer ganz anderen Ecke kommt und natürlich Urs Breitenstein, der meine Entwicklung zum Kunstfilmer nachhaltig forciert hat. Seine Kritik und seine Unterstützung haben meiner Arbeit gut getan und mich ermutigt, auf meine Art weiter zu arbeiten. Inwieweit diese Zeit meinen Blick geschärft hat, belegt mir eine Erinnerung im Zusammenhang mit Dir: Wir haben vor 10 Jahren gemeinsam ‘Madame Bovary (mmm) im Kommunalen Kino gesehen, ich habe ihn seinerzeit nicht verstanden. Erst nach einigen Jahren, als ich ihn mir Jahre später noch einmal angeschaut habe, konnte ich ihn auch sehen.

Mank: Seit zwei Jahren hast Du nun keinen Film mehr gemacht. Schaust Du statt dessen viel Fernsehen?

Simon: In der Tat, ich nehme alles. Ich sehe fern, gehe spazieren und gehe ins Kino. Ich habe keine Ekelschwelle, egal ob es der Terminator ist oder ein Abend mit S-8 Filmen von Städelschülern. Ich sammle. Kunst und Leben, das geht immer so weiter. Ich hoffe zwar, daß sich bald mal finanziell etwas bewegt, zumindest habe ich jetzt über eine Galerie einen Kontakt über meine Fotoarbeiten bekommen. In bezug auf meine Filme aber verbietet sich mir der Gedanke jeglicher kommerzieller Verwertung. Das ist eine andere Sprache, ob im Werbefilm oder im HR, die ich nicht spreche und auch nicht sprechen will. Meine Art zu arbeiten, zwingt mich zur Kompromißlosigkeit.

Thomas Mank, 01.09.1993. Aus: GRIP 07, Frankfurter Filmhaus e.V.